„Für jeden Zweck die richtige Scheibe.“ – So war es auf der ersten Prospektmappe der Firma EFESIS zu lesen, erschienen Anfang der 1960er-Jahre. Und genau genommen hat sich daran seither nicht viel verändert, denn auch heute steht das Werk in Gerolzhofen für individuelle Präzisions-Schleiflösungen allerhöchster Güte, die weltweit von Unternehmen aus der Wälzlagerindustrie, dem Fahrzeug- und Maschinenbau, der Werkzeugbearbeitung sowie vielen weiteren verarbeitenden Industrien geschätzt und nachgefragt werden. Und doch: Seit den Anfangstagen der „Ersten Fränkischen Schleifscheibenindustrie Schweinfurt“ bis zur heutigen Präzisionsfertigung in Gerolzhofen hat sich viel getan.
Präzision für die Welt
Auch wenn wir 2023 das 60-jährige Standortjubiläum feiern, ist es durchaus sinnvoll, zeitlich noch ein wenig weiter in die Vergangenheit zu reisen, um die Anfangstage des Werkes nachvollziehen zu können. 1946 wurde die Schleifkörperproduktion der EFESIS, damals eine Tochtergesellschaft der FAG Kugelfischer, zunächst von Schweinfurt nach Ebern verlagert. Dank des umtriebigen Gerolzhofener Bürgermeisters Franz Kreppel und seinem Wirtschaftsansiedelungsprojekt wurden Anfang der 1960er-Jahre die Voraussetzungen für den Umzug der EFESIS nach Gerolzhofen geschaffen. 1961 war es dann so weit und der Bau des Werkes begann unter dem zukünftigen Werksleiter Heinz Hahn. Im Mai 1963 nahm der erste Produktionsabschnitt des neuen Werkes in Gerolzhofen die Arbeit auf, zunächst jedoch nur die Endbearbeitung. Die Schleifscheiben-Rohlinge wurden in dieser Übergangsphase noch vollständig in Ebern gefertigt und dann per Lkw zur Endfertigung nach Gerolzhofen transportiert. Im September 1963 war die Bauphase der hiesigen Fertigung vollständig abgeschlossen und der Betrieb konnte mit 185 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgenommen werden. Dazu gehörten auch viele Ebener Kolleginnen und Kollegen, die ihre Expertise am neuen, modernen Standort Gerolzhofen einbrachten.
Von diesen ersten Wochen des Produktionsstarts findet heute nur noch Spuren, wer mit offenen Augen danach sucht. So zeugen etwa in der Ofenhalle im Boden eingelassene Gleise noch immer von dem am 1. September 1963 in Betrieb genommenen Tunnelofen. Ein Ofen, der immerhin bis 2009 komplett in Betrieb war und in dieser Zeit kaum einen Tag stillstand. Das Zusammenwirken von langfristigen Investitionen und kontinuierlicher Modernisierung prägen den Standort Gerolzhofen bis heute. 1969 wurde beispielsweise der erste gasbeheizte Haubenofen in Betrieb genommen, der auch heute noch zuverlässig seinen „Dienst“ verrichtet, zusammen mit fünf weiteren Haubenöfen und zwei Herdwagenöfen, die im Laufe der Jahre hinzugekommen sind. Ansonsten waren die Siebziger-, Achtziger und Neunzigerjahre von zahlreichen anlagentechnischen Optimierungen und Erweiterungen geprägt. Zu nennen ist hier zum Beispiel die Inbetriebnahme der ersten CNC-Drehbank im Jahr 1988, wodurch die Endbearbeitung der Schleifwerkzeuge auf ein neues Niveau in Sachen Präzision und Geschwindigkeit gehoben werden konnte. Eine weitere interessante und wegweisende Investition ist die 1982 in Betrieb genommene hydraulische 3.000-Tonnen-Viersäulen-Oberkolbenpresse. Auch heute wird weiter in die Modernisierung des Werkes investiert. „Jüngstes Beispiel ist die vollautomatisierte Bearbeitungslinie aus dem Jahr 2020, eine der modernsten und komplexesten Produktionslinien in der Konzernlandschaft“, so Werksleiter Erik Kamm.
Das wichtigste Kapital
Betrachtet man alte Zeitungsausschnitte aus den vergangenen 60 Jahren, tauchen sie regelmäßig auf: Berichte über Firmenjubiläen langgedienter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (40 Jahre Betriebszugehörigkeiten sind keine Seltenheit), erfolgreiche Abschlüsse von Auszubildenden, ein hohes Maß an Kompetenz und Erfahrung, mehrere tausend Tage unfallfreies Arbeiten sowie Loyalität und Zusammenhalt untereinander. Kurzum: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seit jeher DAS Kapital schlechthin am Standort Gerolzhofen.
„Wenn man sich die Gegenwart anschaut, arbeiten aktuell zwei Meister in Gerolzhofen, die beide vor 44 Jahren hier ihren beruflichen Werdegang begonnen haben“, erklärt Personalleiterin Indrani Nottebrock. „Also zusammen fast 100 Jahre Erfahrung in der Fertigung von Hochpräzisionswerkzeugen! Dazu kommen zwei Meister der ,neuen Generation‘, die frische Ideen und Denkweisen in den Arbeitsalltag einbringen. Und genau diese Mischung aus langjähriger Erfahrung und jungem Schwung ist aus meiner Sicht der entscheidende Faktor unserer Erfolgsgeschichte.“ In der Fertigung gibt es zahlreiche Prozesse, die ein hohes Maß an handwerklichem Können und technischem Know-how voraussetzen und sich kaum automatisieren lassen – schon allein aufgrund der Tatsache, dass die durchschnittliche Losgröße der Bestellungen nur wenige Stück pro Kunde beträgt und es zahlreiche Sonderprodukte gibt, die nur für bestimmte Kunden und Prozesse eingesetzt werden können. Spezialanfertigungen sind also eher die Regel als die Ausnahme. Und dieses handwerkliche Können setzt entsprechende Erfahrung voraus.
Dafür, dass dieser stetige „Strom“ an Erfahrung nicht abreißt, sorgen alle Kolleginnen und Kollegen auch damit, dass sie ihr Wissen an den Nachwuchs weitergeben: Seit den frühen 2000er-Jahren werden am Standort Industriekaufleute und Industriemechaniker ausgebildet. Viele von ihnen sind noch heute für das Unternehmen tätig und tragen inzwischen aktiv dazu bei, die nächste Generation von Schleifmittelexperten auszubilden.
Einen besonderen Stellenwert nimmt in Gerolzhofen, wie in der gesamten Saint-Gobain Gruppe, das Thema Arbeitssicherheit ein. Rein formal zum Beispiel durch die Zertifizierung nach ISO 45001, eine Norm, die die Anforderungen an ein wirksames Arbeitsschutzmanagement beschreibt. Viel näher dürften allen Kolleginnen und Kollegen jedoch die regelmäßigen Sicherheitsgespräche mit ihren Teams im betrieblichen Alltag sein. Rund 300 solcher Schulungen und Workshops finden allein in Gerolzhofen pro Jahr statt. Mit beachtlichem Erfolg: „Für 2024 peilen wir den ,Club der Millionäre‘ an. Dazu können sich weltweit alle Saint-Gobain Werke zählen, die mehr als eine Million unfallfreie Arbeitsstunden nachweisen können. Unsere Arbeitsschutzexperten und alle Teams arbeiten mit viel Engagement daran, dass dieses Ziel erreicht wird“, so EHS-Manager Klaus Woywode.
Ein wertvoller Teil der Saint-Gobain Gruppe
Das Thema Arbeitssicherheit ist nur eines von vielen, das mit der Zugehörigkeit des Standortes Gerolzhofen zur internationalen Saint-Gobain Gruppe spürbar an Fahrt und Dringlichkeit gewonnen hat. 1992 ist der „Erzeugnisbereich Schleifkörper“ der FAG Kugelfischer offiziell an die französische Saint-Gobain Gruppe verkauft worden. Zunächst noch firmierend unter EFESIS Schleiftechnik GmbH, erfolgte 2001 dann die Umfirmierung in Saint-Gobain Abrasives GmbH.
Durch die Einbindung in die Gruppe konnte der Standort Gerolzhofen unmittelbar auf sämtliche Erkenntnisse aller Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Saint-Gobain weltweit zugreifen. Gleichzeitig konnte das Unternehmen mit technisch fortschrittlichen Schleifkörnern aus der Saint-Gobain-eigenen Fertigung arbeiten. Darüber hinaus erhielt Gerolzhofen durch Saint-Gobain den Zugang zu einer weltweit verankerten Vertriebsstruktur, wodurch plötzlich völlig neue Absatzmärkte erschlossen werden konnten. So wurden erst vor Kurzem noch Hochleistungsschleifkörper nach Australien exportiert. Die Kunden vor Ort hatten explizit nach Produkten „Made in Gerolzhofen“ verlangt – ein ziemlich großes Kompliment und ein Beispiel für die Möglichkeiten, die sich durch die Integration in die Saint-Gobain Gruppe eröffnet haben.
Doch bei aller internationalen Ausrichtung hat Gerolzhofen seine unmittelbare Kundennähe niemals verloren: Damals wie heute sind Kolleginnen und Kollegen aus der Anwendungstechnik vor Ort bei ihren Kunden, um sie bei der Optimierung ihrer Schleifprozesse zu unterstützen. Auch dies ist ein Service, der in Deutschland heutzutage keineswegs selbstverständlich ist!
Schwierige Zeiten und genutzte Chancen
Der große Zusammenhalt untereinander, die Einbettung in einen starken Verbund verschiedener Herstellwerke und die Unterstützung durch eine international präsente Gruppe haben auch dazu beigetragen, schwierige Zeiten erfolgreich zu meistern. So machte etwa die weltweite Wirtschaftskrise 2008 als Nachwirkung der Weltfinanzkrise – Stichwort „Lehman Brothers“ – auch vor dem deutschen und internationalen Markt für Schleifmittel nicht halt. Doch durch gemeinsame Kraftanstrengungen konnte selbst diese schwierige Zeit gemeistert werden. Trotz Krise und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten konnten Kapazitäten und Qualitätsniveau mit Augenmaß an die neuen Marktanforderungen angepasst werden.
Vielen dürfte wohl auch noch die letzte große „Ausnahmesituation“ in allzu guter Erinnerung sein: Als im Februar 2020 die ersten Nachrichten von lokalen Ausbrüchen einer unbekannten Viruserkrankung in Deutschland die Runde machten, ahnte noch niemand, welche Auswirkungen „Corona“ auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in den nachfolgenden zweieinhalb Jahren haben würde. Und auch hier hat sich gezeigt: Gemeinsam sind wir stärker! Schnell wurden in Gerolzhofen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt, was gleichzeitig sicherstellte, dass die Produktion nicht einen Tag ruhen musste. Und selbst diese herausfordernde Zeit barg Chancen: Mit Anlauf der Impfkampagnen waren plötzlich viele Güter „heiß begehrt“, die vorher eher weniger Beachtung fanden – so zum Beispiel Injektionsspritzen.
Und die Werkzeuge für deren Präzisionsschliff entstanden wo? Natürlich bei den Profis in Gerolzhofen!
Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks
Von den Herausforderungen der Vergangenheit ist es manchmal kein großer Schritt zu den Herausforderungen von heute und morgen – so begleiten uns die Themen Ökologie, Ressourcenschutz, Abfallvermeidung und Klimawandel auf verschiedene Art und Weise schon spätestens seit den 1970er-Jahren. Seit langem werden in Gerolzhofen zahlreiche Anstrengungen unternommen, um den ökologischen Fußabdruck des Standortes immer weiter zu minimieren. Eine Entwicklung, die auch die kommenden Jahre unserer Geschäftstätigkeit prägen wird.
Bereits 1982 wurde das Werk an das lokale Fernwärmenetz angeschlossen. Seitdem wird die in der Fertigung entstehende Prozesswärme nicht nur intern genutzt, zum Beispiel um den Energieeinsatz für die Heizung der eigenen Produktionsstätte zu reduzieren, sondern fließt auch in das lokale Versorgungsnetz ein. Statt ungenutzt abgeleitet zu werden, beheizt die Prozesswärme so Häuser und Gebäude in der Region, darunter eine Schule, ein Seniorenheim sowie die Kirche der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Gerolzhofen. „Über ihre Fußbodenheizung wird die Kirche zuverlässig mit Fernwärme aus unserem Werk versorgt“, erklärt Dr. Matthias Alschinger, der als verantwortlicher Koordinator auch die Nachhaltigkeitsaktivitäten bei Saint-Gobain Abrasives betreut. „Vor dem Hintergrund der Energiesicherheit aber auch im Hinblick auf die Energiewende sind wir stolz darauf, dass unser Werk heute der größte Fernwärmelieferant der Region Gerolzhofen ist.“
Im Jahr 1987 folgte mit der Inbetriebnahme der – heute noch aktiven – Bioanlage zur bakteriellen Filterung und Behandlung von Abgasen ein wichtiger Schritt in puncto Schadstoffvermeidung. Seit 2011 wird die Bioanlage von einer umfassend modernisierten regenerativen Nachverbrennungsanlage ergänzt. Von entscheidender Bedeutung bei all diesen Maßnahmen ist das Schließen von Roh- und Wertstoffkreisläufen. Entsprechend groß war auch der Einfluss, den 2019 die Erneuerung des Kühlsystems für die Presserei auf die Öko-Bilanz des Standortes genommen hat. Das vorher komplett offene System wurde in einen geschlossenen Kreislauf umgewandelt, wodurch eine immense Wassereinsparung realisiert wurde. So konnte der Wasserverbrauch seit 2017 um fast 30 % gesenkt werden.
Das erklärte Ziel von Saint-Gobain ist eine vollständige CO2-Neutralität bis spätestens 2050. Dazu leistet auch das Werk in Gerolzhofen einen wichtigen Beitrag mit einer Einsparung, bezogen auf 2017, von 2906 t CO2.
Der bislang jüngste Schritt ist die Einführung des Energie-Messsystems zur Steigerung der Energieeffizienz in der Produktion. Mit diesem System lassen sich sämtliche Energieströme in Echtzeit analysieren, sodass Energieverluste minimiert beziehungsweise vermieden werden können. Das System wurde 2022 als Pilotprojekt in Gerolzhofen eingeführt – mit im Ergebnis äußerst positiven Erfahrungen und deutlichen CO2-Einsparungen. Hieraus resultierend ist für 2023 eine Einsparung von über 300.000 kWh geplant. Entsprechend werden ähnliche Systeme inzwischen auch in anderen Werken innerhalb von Saint-Gobain Abrasives eingeführt beziehungsweise vorbereitet.
Was erwartet uns „morgen“?
Insbesondere solche Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit in der Produktion und der Ressourcennutzung werden auch in den kommenden Jahren im Fokus des Gerolzhofener Standorts stehen. Aktuell laufen weitere Optimierung der Heizungsanlage mit dem Ziel, den Energieaufwand bis Ende 2023 um 25 % zu senken. Stand Ende Mai sah es hier mit 1,7 Millionen eingesparten kWh – das entspricht knapp 40 % des jährlichen Heizgasverbrauches – bereits äußerst vielversprechend aus!
Dies alles dient dem übergeordneten Ziel von Saint-Gobain, bis 2030 ein Drittel CO2 weltweit einzusparen. Die Priorität liegt dabei auf der Senkung des Gasverbrauchs und dem mittelfristigen Umstieg auf grünen Wasserstoff in Kombination mit elektrischen Verfahren. Dafür werden neue Öfen und einige Umstellungen in der Produktion notwendig sein. Während die langfristigen Weichenstellungen für diese tiefgreifenden Änderungen gelegt werden, laufen parallel an vielen anderen Stellen die Arbeiten zur weiteren Optimierungen der Prozesse. „So werden wir die Kreislaufwirtschaft weiter forcieren. Hierzu haben wir bereits ein Projekt gestartet, mit dem Ziel, gebrauchte Schleifscheiben zu recyclen“, so Entwicklungsingenieurin Dr. Simone Schäfer. „Ein wichtiger Schritt im Hinblick auf unser Ziel, einen Großteil aller Abfallprodukte wertschöpfend einsetzen zu können. Um den Energiebedarf der Produktion zukünftig weiter reduzieren zu können, arbeiten wir darüber hinaus an einem Projekt zur Umstellung unserer keramisch gebundenen Schleifwerkzeuge von Hochtemperatur- auf Niedrigtemperaturbindungen.“
Von entscheidender Bedeutung für eine effiziente Zukunft des Gerolzhofener Standortes ist auch das Thema Digitalisierung. So ermöglicht etwa die Prozessdatenerfassung in Echtzeit ein tiefgehendes Verständnis der Prozessparameter hinsichtlich der Fertigungsqualität. Das Ziel ist der Aufbau und die Nutzbarmachung einer „Know-how-Datenbank“ mithilfe intelligenter Systeme. So werden beispielsweise manuelle Parametereingaben durch den Mitarbeiter erfasst und beim Folgeauftrag des gleichen Kunden automatisiert durch das System vorgegeben.
Und was lehrt uns die spannende Geschichte des Standortes Gerolzhofen? Vor allem eines: Ganz gleich, welche Sonderformate und Spezialanfertigungen benötigt werden oder welche lokalen und nationalen Herausforderungen auf uns warten: In Gerolzhofen arbeitet ein starkes Team was alle Hürden meistert!