Hochporöse Bindungssysteme für das Präzisionsschleifen

Hochporöse Bindungssysteme für das Präzisionsschleifen

Einleitung

Die Produktivität ist die grundlegende Kenngröße für industrielle Schleifprozesse. Der Prozess wird im Wesentlichen durch die Zykluszeit und die Oberflächengüte (Form, Rauigkeit, thermische Wechselwirkung, …) beschrieben, und diese Faktoren werden besonders durch die Auswahl der Schleifwerkzeuge beeinflusst. Eine Optimierung der Schleifwerkzeuge erfolgt sowohl durch die Steuerung der Korngröße, -qualität und -konzentration als auch durch die Bindungschemie und Struktur. Hochporöse Bindungssysteme mit homogener und offener Porosität gewinnen hierbei immer mehr an Bedeutung. Im Folgenden wird speziell der Einfluss der Porosität auf die Schleifeigenschaften dargestellt und erläutert. 

Hochporöse Strukturen ohne Porenbildner

Zweifellos ist die Porosität eine wichtige Eigenschaft der Schleifwerkzeuge, um den Schleifprozess positiv zu beeinflussen. Zum einen unterstützen die Poren die Zuführung des Kühlschmiermittels in die Schleifzone, und zum anderen werden die entstehenden Späne oder Rückstände leichter abgeführt. Überdies reduziert eine porösere Struktur mit dünneren Bindungsbrücken die Wechselwirkung zwischen Bindung und Werkstück, die z.B. in Form von Reibung zu thermischen Beeinträchtigungen am Werkstück führen kann (Abbildung 1).

Abbildung 1: Wechselwirkung der Bindung mit dem Werkstück. 
Die dünneren Bindungsstege der Vitrium³-Bindung von Saint-Gobain (rechts) führen im Vergleich zur Standard-Bindung (links) zu einer wesentlichen Reduktion der thermischen Schädigungen am Werkstück [SGA13]

 

Um das Porenvolumen in keramischen Bindungssystemen zu erzeugen und zu steuern, werden häufig Porenbildner verwendet, wie beispielsweise Naphthalin oder anderes. Saint-Gobain hat allerdings Verfahren entwickelt, mit denen eine hohe Porosität ohne Zugabe eines künstlichen Porenbildners realisiert wird. Dies hat einen positiven Einfluss auf die Eigenschaften der Werkzeuge und ist zusätzlich ein wichtiger Schritt in Richtung Umweltschutz und CO2-Bilanz [Uppa13].

Dabei können 2 Technologien unterschieden werden:

VORTEX 2: In diesen Produkten werden speziell vorbehandelte Schleifkörner verwendet, um eine extrem hohe Porosität mit einer ausgesprochen homogenen Struktur zu erzeugen. Die Abbildung 2 zeigt, dass mit VORTEX 2 selbst in der sehr offenen Strukturzahl 29 äußert robuste Werkzeuge herstellbar sind, während dies bei Standardprodukten mit Porenbildnern nicht möglich ist. Mit gleichem Volumenverhältnis aus Korn und Bindung bricht dort das System während des Brandprozesses ein. Produkte mit Porenbildnern sind dabei nur bis zu einer niedrigen Strukturzahl (z.B. 12) stabil herstellbar.

Abbildung 2: Vergleich zwischen Standardprodukten mit Porenbildner und VORTEX. Durch die VORTEX-Technologie lassen sich hochporöse Produkte mit deutlich offeneren Strukturen herstellen [Hube12]

Ein weiterer Vorteil der VORTEX-Technologie ist die extrem homogene und offenporige Struktur der Schleifscheiben, was ein entscheidender Faktor für die Zuführung des Kühlschmiermittels ist. Abbildung 3 zeigt, dass durch den Zusatz von Porenbildnern in einem typischen Wettbewerbsprodukt diverse Fehlstellen entstehen, die bei der VORTEX-Technologie vollkommen ausgeschlossen sind. 

Abbildung 3: Einfluss des Porenbildners auf die Homogenität. Mit der VORTEX-Technologie sind die Poren offen und homogen verteilt.

ALTOS: In der ALTOS-Technologie werden stäbchenförmige Sinterkorunde (TG oder TGX) für die Herstellung der Schleifscheiben verwendet. Saint-Gobain stellt diese Sinterkorunde im eigenen Hause her. Sie unterscheiden sich im Längen-Breiten-Verhältnis (TG = 4/1, TGX = 8/1). Die längliche Form der Schleifkörnung führt während des Mischprozesses zu einer zufälligen Packung und damit zu einer sehr hohen und offenen Porosität mit hoher Permeabilität, und zwar ohne zusätzliche Porenbildner. Berechnungen mit verschiedenen Kornformen haben gezeigt, dass Stäbchen die optimale Form für eine hohe Porosität darstellen. 

Abbildung 4: Darstellung der hochporösen Struktur der ALTOS-Schleifscheiben, die durch die zufällige Orientierung der Stäbchenkorunde entsteht [Zhan06].
 Auswirkungen poröser Strukturen im Schleifprozess

Eine grundlegende Analyse eines Schleifprozesses lässt sich mit der Betrachtung der Leistungsaufnahme erzielen. Sie wird durch makroskopische und mikros-kopische Wechselwirkungen zwischen Korn, Bindung und dem Werkstück beein-flusst, wobei Prozesse wie Spanbildung und Verschleiß, aber auch Verformen, Gleiten, Reibung wesentlich sind [Subr00].
Die Leistung lässt sich mithilfe einer linearen Regression als Funktion des Zeitspanvolumens Q’w durch folgende Formel in guter Näherung beschreiben [Malk89]:
P‘ = Ec . Q‘w + P‘th
Mit  P‘: bezogene Leistung
Ec:  spezifische Schleifenergie (= Steigung der Geraden)
Q’w: bezogenes Zeitspanvolumen
P’th: bezogene Schwellenleistung (= Koordinatenschnittpunkt)
 
Die Abbildung 5 zeigt den Verlauf der Spindelleistung für ALTOS-, VORTEX 2- und Edelkorund-weiß Schleifscheiben. Folgende Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen:
Spezifische Schleifenergie Ec: Die niedrigere Steigung der Geraden zeigt, dass VORTEX 2- und ALTOS-Schleifscheiben eine geringere spezifische Schleifenergie Ec als Edelkorund-weiß haben.
That means:

  • ·  Höheres Zeitspanvolumen bei gleicher Leistungsaufnahme (…“schneller Schleifen“)
  • ·  Geringere Leistungsaufnahme bei gleichen Zeitspanvolumen (…“kühlerer Schliff“)

Besonders ALTOS hat bei hohen Q’w einen klaren Vorteil, und auch VORTEX 2 schleift unter allen Bedingungen deutlich kühler als Edelkorund-weiß.
Die Schwellenleistungen Pth von VORTEX 2 und Edelkorund-weiß sind vergleich-bar, während sie von ALTOS deutlich höher liegt. 
Pth, drückt aus, bei welcher Leistung ein „erster“ Spanbildungsprozess eintritt, also der Zustand bei einem sehr niedrigen Zeitspanvolumen. Damit wird deutlich, dass bei niedrigen Abtragsraten VORTEX 2 und Edelkorund-weiß einer ALTOS-Schleifscheibe vorzuziehen sind.

Abbildung 5: Abhängigkeit der Spindelleistung vom Zeitspanvolumen bei Schleifscheiben mit Edelkorund-weiß (EKw), VORTEX 2 und ALTOS 
Was ist der Grund für dieses Verhalten?

VORTEX 2: Die hochporöse Struktur der Schleifscheibe und die dünneren Bindungsstege reduzieren die Wechselwirkung und Reibung zwischen Bindung und Werkstück, was sich in der geringeren spezifischen Schleifenergie Ec im Vergleich zu Edelkorund-weiß zeigt. Die Schwellenleistungen Pth sind ähnlich, da VORTEX 2 und Edelkorund-weiß grundsätzlich die gleichen Kornbrucheigen-schaften aufweisen.

ALTOS-Schleifscheiben bestehen aus TGX, einem stäbchenförmigen Sinterkorund. Aufgrund seiner Festigkeit und der mikrokristallinen Struktur ist die benötigte Schwellenleistung Pth zur Bildung eines „ersten“ Spanes recht hoch. Allerdings zeigen sich bei höheren Zeitspanvolumina Q’w die äußerst positiven Eigenschaften dieser Schleifscheibe: Durch die hohe Porosität (= geringe Reibung) und den Selbstschärfeffekt des Sinterkorundes (= effiziente Spanbildung) bleibt der Energieaufwand auch bei höchsten Q’w niedrig. ALTOS hat eine extrem niedrige spezifische Schleifenergie, wodurch hohe Q’w-Werte ohne thermische Schädigung der Werkstücke möglich sind.

Diese Eigenschaften sind durch viele Feldversuche bestätigt

Weitere Entwicklungsschritte

Die Schleifscheibenentwicklung von Saint-Gobain zielt darauf ab, hohe Zerspan-leistungen mit möglichst geringen thermischen Wechselwirkungen zu gewähr-leisten. Das Zielgebiet ist in Abbildung 5 blau schraffiert dargestellt. Die extrem hohe Porosität und die dünnen Bindungsstege führen bereits in die richtige Richtung, und zusätzlich hat Saint-Gobain innovative Entwicklungen im Korn-bruchverhalten vorangetrieben.

Abbildung 6: REM-Aufnahmen eines SG Sinterkorundes und QUANTUM, wo die zweite Phase deutlich sichtbar ist

Die QUANTUM-Technologie umfasst Sinterkorunde mit geringerer Festigkeit als der Standard, was durch das Einbringen einer zweiten Phase erfolgt (Abbildung 6). Damit bilden sich bereits bei kleineren Belastungen scharfe Kanten, wodurch die Schwellenleistung Pth gesenkt wird. Diese Eigenschaft garantiert den Erfolg der QUANTUM-Schleifscheiben in vielen Anwendungen, sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Q‘w.

Der nächste Schritt ist, die Vorteile dieser Technologien zu kombinieren:

VORTEX 2 + QUANTUM +VITRIUM³= QUANTUM-X … dies ist eine hochporöse Schleifscheibe, die zudem das vorzügliche Bruchverhalten der QUANTUM-Technologie aufweist. Durch die niedrige Schwellenleistung Pth ist sie hervorragend bei niedrigen Q’w einsetzbar ist; die offene Porosität bewirkt dazu, dass sich thermische Wechsel-wirkungen auch bei höheren Zerspanleistungen gering halten.

Fallbeispiele

Die folgenden Anwendungen bestätigen, dass sich die Zerspanleistungen durch die niedrigen spezifischen Schleifenergien der hochporösen Werkzeuge von Saint-Gobain ohne thermische Schädigungen steigern lassen, was zu optimierten Zykluszeiten und deutlichen Kosteneinsparungen für die Kunden führt.

Verzahnungsschleifen mit ALTOS

 -   Anwendung:   Profilschleifen, Gleason-Pfauter
-   Werkstück:   18 CrNiMo, 58-60 HRC, Modul 10
-   Wettbewerb: Neueste Technologie
-   Saint-Gobain: TGX 120 F13 VCF5
>   Ergebnis:   Q’w + 200%, Zykluszeit -40%, Kostenvorteil -45%

Turbinenschleifen mit QUANTUM-X

-   Anwendung:   Tiefschliff
-   Werkstück:   Turbinenschaufel, Ni-Legierung
-   Wettbewerb: Neueste Technologie
-   Saint-Gobain: 5NQX 80 E28 VS3X
>   Ergebnis:   Zykluszeit -50%, Lebensdauer +40%, Kosten -25%

Zusammenfassung

Eine steigende Produktivität im Schleifprozess geht einher mit hohen Zerspan-leistungen und einem kühlen Schliff. Diese beiden Komponenten lassen sich leicht anhand der spezifischen Schleifenergie Ec und der Schwellenleistung Pth dar-stellen. 
Mit der VORTEX 2- und der ALTOS-Technologie bietet Saint-Gobain zwei Produkt-reihen, die aufgrund ihrer speziellen Kornform und der dadurch erreichbaren offenen Porosität die thermischen Wechselwirkungen zum Werkstück reduzieren und somit einen effizienten und kühlen Schleifprozess bei hohen Zeitspan-volumina ermöglichen. 
Um diesen Vorteil auch bei sanfteren Einsatzbedingungen nutzen zu können, wurde ein QUANTUM-Korn entwickelt, das bereits bei niedrigeren Belastungen scharfe Kanten bildet. Dadurch wird eine niedrigere Schwellenleistung Pth erreicht.
Die Kombination dieser Technologien führt nun zu Schleifwerkzeugen wie Quantum-X, die den möglichen Q’w-Bereich deutlich nach oben und unten erweitern und effizientes Schleifen ohne thermische Schädigungen garantieren.

Literatur

[Hube12] Huber, C.: Innovative grinding wheels for a cooler grinding strategy, Seminar “Moderne Schleiftechnologie und Feinstbearbeitung”, 2012


[Malk89] Malkin, S. and Guo, C.: Grinding technology: theory and applications of machining with abrasives, ISBN 978-0-8311-3247-7 1, 1989


[Sgab13] Saint-Gobain Abrasives: Vitrium³ Reshaping the world of precision grinding, Broschüre #2405, 2013


[Subr00] Subramanian, K.: The System Approach (Modern Machine Shop Books), ISBN 978-1569902554, Hanser Gardner Publications; 2000


[Uppa13] Uppal, S.: Grinding wheels that don’t cost the earth, Grinding & Surface Finishing, Special report 26/27, November 2013


[Zhan06] Zhang, W. Experimental and computational analysis of random cylinder packings with applications, PhD Diss. Louisiana State University, 2006